„Es ist eine Bürde, die du dir auferlegst“:
Hendrik und Holger Fleisch im Interview

Wenn der Sohn in die Fußstapfen des Vaters tritt: Holger Fleisch leitete gemeinsam mit seinem Gespannpartner Jürgen Rieber über 600 DHB-Spiele, sein Sohn Hendrik steht im Perspektivkader des Deutschen Handball-Bundes. Im Doppel-Interview sprachen der heutige DHB-Delegierte und der Nachwuchsschiedsrichter, der mit seinem Partner u.a. in der Jugendbundesliga eingesetzt wird, über ihre gemeinsame Leidenschaft und was der Sohn von den Erfahrungen des Vaters lernen kann …

Dass Vater und Sohn beide Handball spielen, gibt es immer wieder. Bei euch haben nun beide zur Pfeife anstatt zum Ball gegriffen. Wie darf man sich da den Alltag bei euch zu Hause vorstellen: Welchen Raum nimmt das Pfeifen ein?

Hendrik Fleisch:
Der Handball nimmt am Familientisch schon einen großen Platz ein, weil jeder von uns etwas mit Handball zu tun hat. Wenn wir uns dann Handball anschauen, ist es ganz klar, dass wir uns über die Entscheidungen unterhalten, weil wir die Sicht als Schiedsrichter kennen. Wenn Fehler passieren, spricht man sie an. Da fallen auch mal härtere Worte, aber wir tauschen uns aber auch immer aus, wenn wir verschiedene Sichtweisen haben – das bringt dann für beide Seiten etwas. Gerade ich kann da noch einiges von ihm lernen.

Das heißt, dein Vater darf dich kritisieren – oder fliegen dann die Fetzen?

Hendrik Fleisch:
Nein. Ich bitte ihn sogar immer um Feedback, wenn er mit in der Halle ist. Wir greifen gerne darauf zurück, denn es hat nicht jeder jemanden zu Hause sitzen, der auf eine so große Erfahrung als Schiedsrichter zurückblicken kann. Da sind wir sehr dankbar und froh drüber. Es ist aber auch gut, wenn uns noch andere beurteilen – wie zum Beispiel beim Länderpokal in Berlin, als wir intensiv gecoacht wurden.

Holger, inwieweit es für dich schwerer, die Leistung deines Sohnes zu beurteilen als die anderer Jung-Schiedsrichter?

Holger Fleisch:
Grundsätzlich ja. Ich schaue natürlich trotzdem mit meinen Schwerpunkten auf so ein Spiel, aber ich war gerade am Anfang mehr moralische Unterstützung. Da hieß es dann: Wir haben das erste Männer-Oberligaspiel, könntest du dabei sein? Wenn ich auf der Tribüne sitze, kann ich ja erst einmal nicht helfen – ihre Entscheidungen treffen die beiden selber auf dem Spielfeld. Und die beiden müssen auch selbst schauen: Macht uns das überhaupt Spaß? Nur, weil ich Schiedsrichter war und mir es meistens Spaß gemacht hat, heißt das ja nicht, dass es ihm auch Spaß macht. Und, um das klarzustellen: Ich habe auch nie gesagt, dass sie Schiedsrichter werden müssen (lacht).

Wie kam es denn dann dazu, dass du auch zur Pfeife gegriffen hast?

Hendrik Fleisch:
Ich bin immer schon viel in der Halle gewesen und dann ergab ein Wort das andere. Ich will mich selbst nicht überschätzen, aber ich denke, ich hatte die Grundzüge, wie es funktioniert, schnell verstanden – und wenn der Papa dann im Fernsehen war, hat man das dann selbstverständlich angeschaut. Mama hat auf einem Zettel immer mitgeschrieben, was die Kommentatoren zur Schiedsrichterleistung gesagt haben – das war ein Pflichttermin (lacht).

Holger Fleisch:
Jürgen und ich wussten in der Kabine daher sofort, was gesprochen wurde (lacht).

Hendrik Fleisch:
So hat es dann irgendwann angefangen. Das erste halbe Jahr habe ich alleine gepfiffen, aber es war schon klar, dass ich mit einem Mannschaftskollegen und Schulkameraden ein Gespann bilden möchte. Yannik Brandt hatte schon ein Jahr früher mit Pfeifen angefangen und als bei mir dann klar war, dass es relativ gut klappt, haben wir im Gespann angefangen. Es hat Spaß gemacht und so ist es Schritt für Schritt nach oben gegangen. Wir sind nach den Jugendspielen relativ schnell in den Seniorenbereich eingestiegen und waren vor zwei Jahren bei der Sichtungsmaßnahme beim IBOT. So sind wir dann in den Jugendbundesligakader gekommen und jetzt sind wir im DHB-Perspektivkader. Wo es dann zur neuen Saison hingeht, werden wir sehen. Wir sind da offen für mehr (schmunzelt).

Ist es für dich ein Ziel, wie der Vater auch mal im Fernsehen zu sein?

Hendrik Fleisch:
Erste Bundesliga zu pfeifen, ist auf jeden Fall ein Ziel, das wir haben. Es ist aber nicht so, dass wir es verbissen verfolgen. Wir machen das so lange, wie es Spaß macht – und wenn es keinen Spaß mehr macht, ist es halt vorbei. Ich muss niemandem etwas beweisen noch haben wir wegen des Namens den Druck, etwas erreichen zu müssen. Ich denke, jeder im Perspektivkader hat das Ziel, irgendwann höherklassig zu pfeifen. Die Chance ist da, jetzt liegt es an uns, die Leistung zu bringen und genug Wille und Ehrgeiz zu haben, das auch zu erreichen.

Holger, hast du dir überhaupt gewünscht, dass deine Söhne anfangen zu pfeifen?

Holger Fleisch:
Ganz ehrlich: Eigentlich nicht.

Hendrik Fleisch:
Papa ist auf der Tribüne immer aufgeregter als wir auf dem Spielfeld.

Holger Fleisch:
Auf der einen Seite habe ich gesagt: Es sind halt die Gene vom Vater. Das kann andererseits aber auch ganz schnell zu einem Rucksack werden, der manches schwerer macht. Nicht überall heißt es: „Es ist ja super, dass du der Sohn von dem und dem bist“. Das Schiedsrichterteam Fleisch/Rieber hatte halt nicht nur Freunde (lacht). Außerdem frage ich mich hin und wieder, ob er sich das geben muss – es kann ganz schön zäh sein. Und bei manchen Erfahrungen, die ich gemacht habe, weiß ich nicht, ob er sie auch machen muss.

Das ist aber so ein bisschen das Los eines Schiedsrichters, oder?

Holger Fleisch:
Ja, so ist das Schiedsrichterleben nun einmal. Wenn es Gegenwind gibt, muss man als Schiedsrichter dabeibleiben und nicht sofort aufhören. Von zehn Leuten in der Halle sind im Zweifelsfall immer neun gegen dich, dessen muss man sich bewusst sein. Das ist ein Grundzug des Schiedsrichters. Ein gewisses Maß an Dreck muss man einfach aufnehmen können. Die, die daran zerbrechen, hören auf, weil sie es sich eben nicht geben wollen – und die, die das überstehen, gehen den Schritt weiter.

Und dann?

Holger Fleisch:
Dann sind wir beim Thema: Schiedsrichter – Mensch – Entwicklung. Hendrik ist jetzt 21 und ich weiß nicht, ob ich mit 21 Jahren das schon so hätte machen können wie die beiden es jetzt machen. Ein Doppeleinsatz am Wochenende oder mal eben für ein Spiel nach Konstanz – der Aufwand, den sie als junge Menschen betreiben, ist schon enorm. Dann sagt man immer, dass es gut wäre, wenn sie nebenbei noch spielen, um das Spielverständnis zu sammeln, aber wann soll das alles passieren? Das ist vielleicht auch der schnelllebigen Zeit geschuldet. Ich bin auf jeden Fall zwiegespalten.

Warum?

Holger Fleisch:
Ein Schiedsrichter muss Erfahrung haben – auch Lebenserfahrung – und die hat man von der persönlichen Entwicklung her mit 21 einfach noch nicht so wie mit 30. Versteht das nicht falsch: Ich finde es super, dass die beiden mit 21 in der Jugendbundesliga pfeifen und auch, wie sie das schon machen und dass das Feedback überwiegend positiv ist, finde ich natürlich klasse. Ich glaube jedoch, dass Zeiten kommen werden, die nicht so glatt laufen wie ihre Schiedsrichterkarriere bisher – und da muss man einfach gucken, was andere Dinge machen. Mit 30 habe ich meinen Beruf, vielleicht eine Familie, bin schon gesettelt – und kann dadurch besser damit umgehen, wenn es als Schiedsrichter schwierig ist. Das ist aus meiner Sicht das Für und Wider dieser jungen Förderung.

Hendrik, inwieweit kannst du von den Erfahrungen profitieren, die dein Vater gemacht hat?

Hendrik Fleisch:
Ich nehme das schon gerne mit – gerade wege- und straßentechnisch (schmunzelt). Auch das gehört zum Schiedsrichterwesen dazu und seine Tipps, wie man am besten fahren kann, sind wirklich hilfreich. Generell ist Papa jemand, der bei der Kritik nicht auf die einzelnen Entscheidungen eingeht. Er sagt: Es bringt nichts, eine Entscheidung tot zu diskutieren, das war dann halt mal falsch. Es geht vielmehr um andere Sachen wie Stellungsspiel, Aufgabenbereiche und Kommunikation mit den Trainern. Das sehe ich auch so.

Kannst du das an einem Beispiel erläutern?

Hendrik Fleisch:
Man sollte im Kopf haben: Wo ist die Grenze? Da ist der Austausch unheimlich wichtig. Papa rät mir dann, das nächste Mal vielleicht lieber einen Satz mehr zu sagen und dafür die gelbe Karte stecken zu lassen. Solche Sachen sind für den Lernprozess und die Entwicklung unglaublich wichtig, weil es einem selbst im Spiel meist gar nicht so auffällt. Wenn aber jemand, der weiß, wie sich das anfühlt, von außen zuguckt, hat er einen ganz anderen Blick darauf. Er spiegelt uns dann quasi, wie unsere Kommunikation nach außen ankommt. Da lernt man unglaublich viel neben dem Feld.

Holger Fleisch:
Das ist tatsächlich ein Thema, das heute wichtiger ist als früher: Kommunikation und Spielmanagement. Es ist nicht der Schiedsrichter der beste, der alles richtig pfeift, sondern der Schiedsrichter, der alles richtig managt. Dafür muss ich nicht jede Entscheidung richtig treffen, aber das Spiel für alle planbar managen. Das ist die große Herausforderung für alle Schiedsrichter. Das ist der Anspruch an uns alle – ausrechenbar zu pfeifen, links wie rechts gleich, am Samstag, Sonntag und Mittwoch. Das ist inzwischen noch viel mehr gefragt; gerade auch mit der Medienlandschaft.

Was meinst du damit?

Holger Fleisch:
Früher hat ein Fehler die Halle nicht verlassen, heute steht er zehn Minuten nach Abpfiff als Video bei Facebook. Früher gab es mit Glück eine Videoaufnahme von deinem Spiel, heute ist das Standard. Das bedeutet beiden noch mehr Druck für die Schiedsrichter. Daher ist das Management einer Partie wichtiger als alle Entscheidungen auf den Punkt zu treffen. Hat man einen Schrittfehler nicht gepfiffen, ist das so – die Situation ist vorbei. Die Frage, die man sich stellen muss, ist vielmehr: Was kann ich am Stellungsspiel verändern, damit ich die Schritte das nächste Mal sehe? Das können wir erfahrene Schiedsrichter den jungen ganz gut rüberbringen. Ich möchte jedoch auch noch einmal allgemein etwas loswerden …

Ja?

Holger Fleisch:
Die Schiedsrichter in der Jugendbundesliga sind wirklich gut; auch, wenn sie alle erst 21 oder 22 Jahre alt sind. Ich coache einige von ihnen und sehe noch mehr, weil mein anderer Sohn Jugendbundesliga spielt; daher kann ich das, denke ich, einschätzen. Ich glaube nicht, dass wir mit 21 schon so gut waren, aber so ist der Lauf der Dinge …

Hendrik Fleisch:
Man muss aber auch sehen: Ihr habt gepfiffen, bis ihr 50 wart. Das wird aus unserer Generation kaum noch jemand schaffen! Wer heute Jugendbundesliga pfeift, wird mit 50 nicht mehr Bundesliga pfeifen. Da ist mit 40 Schluss!

Holger Fleisch:
Und genau das ist der Knackpunkt, wenn gesagt wird, dass wir erfahrene Schiedsrichter brauchen! Nicht nur aufgrund dessen, was ich eben schon angesprochen habe, sondern ganz schlicht und einfach: Wenn ich mit 30 schon alles erreicht habe, warum soll ich das dann weitermachen? Das siebte Mal nach Skopje oder das zehnte Mal sonst wohin macht irgendwann keinen Spaß mehr. Und wie der Hendrik schon gesagt hat: Der Spaß muss im Vordergrund stehen. Wenn es keinen Spaß mehr macht, machst du es auch nicht. Dir klopft als Schiedsrichter keiner auf die Schulter, wie toll du das machst – die Motivation muss von innen heraus kommen. Wenn die dann irgendwann erlischt, ist es problematisch. Das ist bei vielen Schiedsrichtern der Fall, auch international. Sie könnten vom Alter her noch pfeifen, sind aber leergebrannt.

Hendrik, dein Vater hat eben schon gesagt, dass das Gespann Fleisch/Rieber nicht unbedingt nur Freunde hatte. Warum hat dich die Kritik – um es unter einem Oberbegriff zusammenzufassen – nicht davon abgehalten, zur Pfeife zu greifen?

Hendrik Fleisch:
Wenn ich früher auf der Tribüne stand und die Leute haben den Papa bepöbelt, dachte ich mir schon: „Mach es doch besser, stell du dich da unten hin und lass dich von 2.000 Leuten angehen.“ Ich kann mich noch an ein Bundesligaspiel in Nürnberg erinnern, als die Ultras der Fußballer da waren. In solchen Momenten überlegt man sich schon, ob es jetzt so cool ist, da unten zu stehen …

Wie gehst du damit um?

Hendrik Fleisch:
Man lernt als Schiedsrichter mit der Zeit, dass man so etwas ausblenden muss. Papa hat auch immer gesagt, er pfeift lieber vor 10.000 Leuten und kriegt nur den Geräuschpegel mit als wenn da nur 100 Zuschauer sind und du jedes einzelne Wort hörst. Ich kann das gut ausblenden – ich höre das, aber amüsiere mich eher darüber, als dass ich es an mich heranlasse. Ein Ohr rein, ein Ohr raus. Ich will nicht sagen, dass ich es gewohnt bin, aber ich kenne es von klein auf, dass es als Schiedsrichter so ist. Es ist eine Bürde, die du dir auferlegst – und entweder kommst du damit klar, oder du musst es bleiben lassen. Bevor du das zu sehr mit nach Hause nimmst, ist es deine Eigenverantwortung, dir zu sagen: Was in der Halle passiert, das bleibt in der Halle! Gott sei Dank verlief es bisher in Maßen. Es gab nie eine krasse Konfrontation und bisher ist auch noch niemand handgreiflich geworden.

Ist es ein Vorteil für junge Schiedsrichter, wenn die Eltern auch pfeifen?

Hendrik Fleisch:
Ja, ich glaube, das kann auf jeden Fall ein Vorteil sein! Der Erfahrungsaustausch ist ein enormer Vorteil. Wenn man daheim mit jemanden sprechen kann, der die Erfahrungen selbst gemacht hat und weiß, wie es auf dem Spielfeld zugeht, ist es einfacher, als wenn man als kompletter Neuling einsteigen muss, der – in Anführungsstrichen nur – selbst auf dem Spielfeld stand …                                                                                                Handball-World.com

 

Wie Vater so der Sohn…